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Über sexuelle Gewalt

Was ist sexuelle Gewalt an Frauen?

Sexuelle Gewalt ist jedes Verhalten, das in die sexuelle Selbstbestimmung und Entwicklung eines Mädchens oder einer Frau eingreift, sich über ihren Willen hinwegsetzt ohne nach ihrer Zustimmung und ihrem Wohlergehen zu fragen.

Der Begriff sexuelle Gewalt an Frauen umfasst ganz unterschiedliche Erlebnisse: Diese reichen von verschiedenen Formen sexueller Belästigung (einmalig oder auch wiederholt über einen längeren Zeitraum), über Nötigung bis hin zu Vergewaltigung und Sexualmord. Frauen erleben in allen Lebensbereichen sexuelle Übergriffe und Gewalt: in der Familie, Partnerschaft, in der Schule oder am Arbeitsplatz, beim Sport, im Rahmen eines Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, auf der Straße und anderen öffentlichen Plätzen. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Beziehungen zwischen Tätern und Opfern (siehe dazu auch: Zahlen & Fakten).

Hier finden Sie Informationen zu:

Formen sexueller Gewalt

Sexuelle/sexualisierte Gewalt umfasst alle sexuellen Handlungen, die einer Person gegen ihren Willen aufgedrängt oder aufgezwungen werden. Sie ist ein Akt der Aggression und des Machtmissbrauchs. Oft werden diese sexuellen Handlungen unter Einsatz von Drohungen oder Gewalt aufgezwungen. Neben den Gewaltformen, die im Sexualstrafrecht geregelt sind (wie z.B. geschlechtliche Nötigung, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, sexuelle Belästigung, siehe dazu auch: Rechtliche Informationen), gibt es viele andere Formen sexueller Gewalt.

Sexuelle Gewalt stellt immer eine Grenzverletzung dar und äußert sich zum Beispiel durch:

  • Anzügliche Blicke oder sexistische Bemerkungen
  • Ungewollte Berührungen (erzwungenes Umarmen, Küssen, Anfassen,..,)
  • direkte oder indirekte Androhungen von unerwünschten sexuellen Handlungen
  • sexuelle Erlebnisse, denen die Frau nicht willentlich zugestimmt hat - sexuelle Nötigung
  • Sexualisierte Gewalt in der Kindheit (siehe auch: Eintrag zu: sexueller Missbrauch)
  • erzwungene sexuelle Handlungen, zum Beispiel eine Vergewaltigung
  • Frauenhandel und Zwangsprostitution
  • Zwangsverheiratung
  • Genitalverstümmelung

Den unterschiedlichen Formen sexueller Gewalt gemeinsam ist, dass Machtausübung, Herabsetzung und Demütigung eine zentrale Rolle einnehmen. Sie alle stellen einen massiven Angriff auf die körperliche, geistige und seelische Gesundheit der Betroffenen dar.

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und der Arbeit mit Opfern wird auch der Begriff der sexualisierten Gewalt verwendet. Damit soll verdeutlicht werden, dass diese Form der Gewalt ihren Ursprung nicht in der Sexualität hat, sondern eine Form der Machtausübung und Gewalt ist, die mittels sexueller Handlungen ausgeübt wird (Siehe auch den Eintrag in: Von A bis Z). Da der Begriff sexualisierte Gewalt sich in der breiten Öffentlichkeit und im rechtlichen Bereich noch nicht durchgesetzt hat, verwenden wir den allgemein verständlicheren Begriff sexuelle Gewalt.

Aspekte sexueller Gewalt

Sexuelle Gewalt als individuelle Erfahrung

Bei sexueller Gewalt zwingt der Täter das Opfer durch Drohungen, physische Gewalt, Manipulation oder Lügen zu einer „negativen Intimität“, die den Willen, die Wünsche und Bedürfnisse des Gegenübers ignoriert beziehungsweise als irrelevant betrachtet.

Die konkrete Situation eines sexuellen Übergriffs trifft Frauen meist „wie aus heiterem Himmel“. Gleichzeitig wachsen aufgrund gesellschaftlicher Stereotype und Vorurteile viele Mädchen schon früh mit der Warnung bzw. dem Wissen auf, dass sie sexuelle Gewalt erfahren könnten. Oder mussten diese bereits früh in ihrem Leben, als Kinder und Jugendliche, erleiden.

Das Geschehen bei einem sexuellen Übergriff wird vom Täter gesteuert, er überrumpelt das Opfer durch Drohungen, Lügen, Manipulation oder körperliche Gewalt. Durch diese Plötzlichkeit des Angriffs wird sexuelle Gewalt von den Betroffenen zumeist als „irreal“, alptraumhaft, „Parallelrealität“ erlebt. Sie haben oft das Gefühl, allein, von der Umgebung abgeschnitten zu sein.

Viele Frauen und Mädchen, die einen sexuellen Übergriff erleben, haben in dem Moment auch das Gefühl, das eigene Leben retten zu müssen. Die Tat wird als Angriff auf die gesamte Person erlebt. Die bewusste Einordnung der Gewalttat, eine bewusste, objektive Realisierung des Erlebten kommt oft erst später, nach dem „Erwachen aus dem Alptraum“.

Sexuelle Gewalt als gesellschaftliches Problem

Sexuelle Gewalt ist eine Menschenrechtsverletzung. Sie hat verheerende psychische, gesundheitliche und soziale Folgen, für die Betroffenen, aber auch für ihr soziales Umfeld und die Gesellschaft insgesamt. Sie bewirkt die Verletzung der körperlichen, sozialen und seelischen Integrität des Opfers. Sexuelle Gewalt an Frauen ist leider ein globales Problem, das in Friedenszeiten vom sexuellen Übergriff über Vergewaltigung bis hin zum internationalen Frauenhandel und in kriegerischen Auseinandersetzungen bis hin zu Massenvergewaltigungen reicht. Sexuelle Gewalt wird persönlich erfahren und ist gleichzeitig Ausdruck bestehender struktureller Machtverhältnisse. Das Ausüben sexueller Gewalt ist ein Herstellen, Bestätigen und Durchsetzen eines Machtverhältnisses.

Sexuelle Gewalt an Frauen ist ein Phänomen mit einem großen Dunkelfeld – es gibt gemessen an der Prävalenz wenige Anzeigen - und einer geringen Verurteilungsquote (siehe dazu auch: Dunkelziffer und Verurteilungsraten).

Dass sexuelle Gewalt an Frauen heute nach wie vor in einem solchen Ausmaß existiert und die meisten Täter sozial unauffällige Männer sind, die allen Gesellschaftsschichten angehören, ist irritierend und verstörend. Es widerspricht unserer Vorstellung von einer bereits gänzlich gleichberechtigten, chancengleichen und von gegenseitigem Respekt getragenen Partnerschaft zwischen den Geschlechtern in einer modernen demokratischen Gesellschaft.

Abwehr durch Verleugnung, Verdrängung und Rationalisierung sind nicht nur mögliche Reaktionen eines traumatisierten Opfers, sondern auch starke gesellschaftliche Tendenzen zur Marginalisierung sexueller Gewalt an Frauen. Das Leid das durch sexuelle Gewalt ausgelöst wird, scheint gesamtgesellschaftlich nicht er/verträglich zu sein, wird abgewehrt und wiederholt sich dadurch immer wieder. Betroffene von sexualisierter Gewalt werden mit ihrem Leid und besonders mit ihren Ansprüchen ins Abseits gedrängt. Ein breiter öffentlicher Diskurs über die Fragen zu der den gesellschaftlichen Verhältnissen innewohnenden Gewalt wird so verhindert.

Auch Männer können Opfer sexueller Gewalt werden. Dennoch ist sexuelle Gewalt eine geschlechtsspezifische Form von Gewalt, von der zu einem überwiegenden Anteil Frauen betroffen sind und die Täter fast ausschließlich Männer sind. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung für alle, auch Männer, ernst zu nehmen, könnte zu einer Umverteilung sexueller Verletzlichkeit führen und zu einem gesamtgesellschaftlichen Klima beitragen, in dem auf alle Formen von sexueller Gewalt geachtet wird und betroffenen Frauen keine Mitschuld zugewiesen wird.

Sexuelle Gewalt als rechtlicher Tatbestand

Bei sexistisch motivierter Gewalt von Männern gegen Frauen handelt es sich nicht um Konflikte zwischen zwei oder mehreren Personen, die mit Gewalt ausgetragen werden, sondern sie zielt auf die bewusste physische,

psychische und moralische Verletzung von Frauen als Frauen ab und ist eine Form der Geschlechterdiskriminierung und Menschenrechtsverletzung (EMRK Art. 14). Im österreichischen Strafrecht findet sich sexuelle Gewalt im Abschnitt „Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung“. Ausführliche Informationen zu den verschiedenen Rechtsnormen, die bei einer Anzeige eine Rolle spielen, finden Sie auf der Seite Rechtliche Informationen. Es war eine bedeutsame Anpassung im Sexualstrafrecht, dass es nun ausreicht, dass eine Person ihren entgegenstehenden Willen zum Ausdruck gebracht hat. Damit ist den Betroffenen eine Subjektposition ermöglicht, die in anderen Bereichen als selbstverständlich galt. Es war ein emanzipatorischer Schritt dieser Reform, dass die Selbstbestimmung der eigenen Sexualität zu respektieren ist.

Es wird jedoch immer Fälle geben, die vom Strafrecht nicht erfasst werden, da Gesetze nie vollständig den besonderen Bedingungen einer Situation entsprechen können. Tiefergreifende gesellschaftliche Veränderungen jenseits des Strafrechts und der formalen Bedingungen sind notwendig, um Gewalt zu verhindern.

Daher müssen Forderungen nach sozialer- und Geschlechtergerechtigkeit, Konsens, Respekt und gewaltfreier Kommunikation in die Politik hineingetragen werden – sie sind direkte Mittel zur Prävention sexueller Gewalt.

Folgen und Auswirkungen sexueller Gewalt

Die Auswirkungen sexueller Gewalt können sehr unterschiedlich sein: sowohl die Schwere und Art der erlebten Gewalt, als auch unsere Persönlichkeit sowie der gesellschaftliche und soziale Umgang mit Gewalt spielen bei Bewältigungsprozessen eine wichtige Rolle.

Das Erleben sexueller Gewalt bedeutet für alle Betroffenen einen massiven seelischen Einbruch. Die Versuche, das Erlebte zu ertragen, zu verstehen und zu verarbeiten sind jedoch individuell.

Es ist wichtig, zwischen dem – jedenfalls schädigenden – Ereignis und den subjektiven Verarbeitungsformen zu unterscheiden.

Bei vielen Betroffenen sexueller Gewalt treten infolge des Erlebten Gefühle von Schuld und Scham auf, zum Beispiel in Form von Selbstvorwürfen, sich „nicht genug gewehrt“ zu haben. Diese Empfindungen sind stark von gesellschaftlichen Vorstellungen, Mythen und Vorurteilen hinsichtlich sexueller Gewalt verbunden und sie tragen dazu bei, dass es den Frauen/ Mädchen besonders schwerfällt, sich nach einem erlebten sexuellen Übergriff Unterstützung zu holen. Die „gesellschaftliche Verunglimpfung von bestimmten Opfergruppen“ (Baurmann 1996) [ref1] äußert sich zum Beispiel im oftmaligen Vorwurf bzw. der Unterstellung an Opfer, jemanden fälschlich zu beschuldigen (z.B. einer Vergewaltigung oder auch sexueller Belästigung) (siehe dazu auch Erläuterung zu Täter-Opfer Umkehr und die Seite Tabus und Vorurteile). Obwohl solche Falschanschuldigungen sehr selten sind, hat dieser gesellschaftliche, oft auch medial vermittelte Vorwurf zur Folge, dass viele Frauen nach einem sexuellen Übergriff an ihrer eigenen Wahrnehmung zweifeln, Schuldgefühle entwickeln und sich fragen, ob sie etwas falsch gemacht haben. Aus diesen Gründen und um sich nicht ungerechtfertigten Äußerungen oder Vorwürfen auszusetzten, verzichten manche Opfer auch auf eine Anzeigenerstattung.

Psychische Folgen für die Betroffenen

Die psychischen und (psycho-)somatischen Folgeerscheinungen sexueller Gewalt wirken sich in vielerlei Hinsicht auf die Betroffenen (und indirekt auch auf deren Umfeld und die Gesellschaft insgesamt) aus: auf familiäre und soziale Beziehungsstrukturen, die Erwerbssituation, die Gesundheit und, je nach Schwere der Gewalt, auch auf die Folgegenerationen.

Frauen und Mädchen erleben einen sexuellen Übergriff meist als massiven Angriff auf ihre körperliche, geistige und seelische Gesundheit. Das Erleben sexueller Gewalt kann zu einer Traumatisierung der betroffenen Person führen. Ein Trauma entsteht durch ein belastendes Erlebnis wie zum Beispiel eine sexuelle Gewalterfahrung, das mit heftigen emotionalen Reaktionen verbunden ist. Ein Trauma ist nach Herman “ein Ereignis und [die] Folge eines Ereignisses, das die normalen Erfahrungen und Handlungsmöglichkeiten und Bewältigungsstrategien eines Menschen erschüttert“ [2].

Eine Vergewaltigung etwa ist mit dem Erleben von starker Angst – häufig auch Todesangst - verbunden. Wenn der Täter vertraut oder bekannt ist, ist der Angriff zusätzlich ein schwerer Vertrauensbruch. In dieser Extremsituation gibt es kein „typisches“, kein „richtiges“ oder „falsches“ Verhalten. Frauen und Mädchen wehren sich in der für sie möglichen Form.

Neben Folter gilt Vergewaltigung als eine der schwersten Formen von Traumatisierung. Die individuelle Reaktion einer Person auf das traumatische Ereignis wird auch als posttraumatischer Stress oder posttraumatische Belastung bezeichnet. (siehe dazu auch: Downloads - Informationsbroschüre Sexualisierte Gewalt, Seiten 11 bis 18).

Mögliche erste Reaktionen

Aus der Arbeit mit Betroffenen und insbesondere der Traumaforschung ist bekannt, dass Opfer sexueller Gewalt zu Beginn oftmals eine Reihe von emotionalen Reaktionen auf die Gewalterfahrung erleben. Das können etwa sein:

  • Schockzustand, Erstarrung
  • Erschöpfung
  • Hilflosigkeit
  • Gelassene, stille Reaktion, unbewegt, „als ob nichts gewesen wäre“
  • Heftige Stimmungsschwankungen
  • Angst, Nervosität, Schreckhaftigkeit
  • Wut und Feindseligkeit auf den Täter, aber auch auf andere, vertraute Menschen
  • Schlafstörungen, Albträume
  • Leugnen des Übergriffs
  • Selbstbeschuldigung, Selbstvorwürfe, Verwirrung
  • „Irrationale“ Ängste
  • Gefühle der Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit
  • starke Gefühle der Verletzung und Beschmutzung
  • Sich „ins Leben stürzen“, dauernd unterwegs sein
  • Erinnerungslücken, Konzentrationsprobleme
  • quälende Erinnerungen oder Bilder, die sich aufdrängen
  • Appetitlosigkeit, starke Müdigkeit
  • verstärktes Bedürfnis nach Alkohol oder Beruhigungsmitteln

Diese und ähnliche Reaktionen sind nach einem außergewöhnlich belastenden Ereignis normal. Professionelle Hilfe und Unterstützung kann Betroffenen dabei helfen, damit umzugehen. Wenn Sie zum Beispiel den Eindruck haben, dass sich Ihre Empfindungen und Gefühle während langer Zeit nicht wieder normalisieren, Sie von Albträumen und Schlafstörungen gequält werden oder das Gefühl haben, mit niemandem über Ihre Gefühle sprechen zu können, obwohl Sie das Bedürfnis danach haben, melden Sie sich bei der Frauenberatungsstelle bei sexueller Gewalt in ihrem Bundesland. Dort erhalten Sie auch kostenlose, auch langfristige psychosoziale Unterstützung und Beratung. Die Mitarbeiterinnen informieren Sie auch über Möglichkeiten einer psychotherapeutischen Unterstützung.

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[1] Baurmann, M. C. (1996): Sexualität, Gewalt und psychische Folgen. BKAForschungsreihe. Band 15. 2. Auflage, Wiesbaden.

[2] Herman, Judith Lewis (1993): Die Narben der Gewalt: Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden, Kindler-Verlag: München.

Sexuelle Gewalt ist gesellschaftlich un(v)erträglich.

Frauen gegen Vergewaltigung
Aus Broschüre "Sexualisierte Gewalt" (2016)

"Männerwelten" (2020)

Dieser Kurzfilm wurde am 13. Mai 2020 in der Show "Joko & Klaas 15 Minuten Live" auf Pro 7 gezeigt.

In der Sendung, die von Sophie Passmann moderiert wurde, werden verschiedene Formen sexueller Gewalt an Frauen in Form einer "geführten Ausstellung" aufgezeigt und eindrücklich verdeutlicht.

Downloads

Informationsbroschüre Sexualisierte Gewalt

Broschüre der Frauen gegen VerGEWALTigung, Innsbruck (deutsche Version, 2016)

Sexuelle Gewalt und Trauma

Eine Information der Beratungsstelle TARA, Graz (Leichter Lesen)